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Shinrin Yoku: Waldbade ich schon oder gehe ich noch spazieren?

Corinna

Diese Frage habe ich mir gestellt, nachdem mir ein Arbeitskollege erzählte, er fasse eine Ausbildung in Shinrin Yoku ins Auge. Shinrin was??? Nie davon gehört, was sollte das denn sein? Er erklärte mir, es gehe darum, im Wald zu baden. Nun ja, baden kenne ich, vornehmlich in Wasser, wenns etwas exotischer sein soll vielleicht noch in Eselsmilch, wie das angeblich Kleopatra zelebrierte....und ach ja, das Bad in der Menge, das sagte mir auch noch was. Doch nun sollte man im Wald baden können?


Herbststimmung auf dem Passwang.


Der Kollege erklärte mir mit leicht entrückten Gesichtsausdruck Sinn und Zweck des Waldbadens. Tönte ja ganz interessant, und dass es dabei um Entspannung ging, leuchtete mir auch noch ein. Doch war das auf einem Spaziergang nicht auch schon so?


So stell ich mir einen Märchenwald vor.


Für mich war klar: ich musste einen Selbstversuch starten, denn im Wald spazieren ging ich schon seit Jahren. Nicht erst seit ich auf den Hund gekommen bin. Was also sollte anders sein bei Shinrin Yoku?

Die ersten Unterschiede zeigten sich mir schon zu Beginn und bevor ich überhaupt Richtung Wald loslief. Wenn ich normalerweise im Wald unterwegs bin, 'mache' ich etwas.

Früher zum Beispiel ging ich zum walken in den Wald, mit den Stöcken und schwungvollen Bewegungen bewegte ich mich mehr oder weniger grazil auf den Wegen zwischen den Bäumen und kam meist verschwitzt und gut gelaunt wieder dort raus. Zwischendurch habe ich es gar mit joggen versucht und bin kläglich gescheitert: nicht nur verschwitzt sondern auch völlig ausser Atem. Und die gute Laune war mir während des joggens immer eine Nasenlänge voraus, Ist mir auch nie gelungen, sie einzuholen. Auf ganzer Linie gescheitert, da bin ich gnadenlos ehrlich mit mir selbst. Also walken ja, joggen nein.

Mit Freundinnen verabredete ich mich auf einen Schwatz und Spaziergang im Wald, was natürlich sehr erbaulich war, aber mit Waldbaden wohl nichts zu tun hatte.

Auch als meine Kinder noch klein waren, waren wir häufig im Wald unterwegs. Und kamen meist verdreckt und mit Bastelmaterial wieder heim.

Mit meiner Mutter zum Pilzen in den Wald? Aber ja, auch. Allerdings habe ich nie auch nur einen Pilz gefunden, während meine Mutter mir ständig die Stellen zeigte, wo es welche hat.

Oder in den Wald, um mit meinem Hund einen langen Spaziergang zu machen? Sicher, beinahe jeden Tag.


Hundeglück im Wald...

Ihr seht: im Wald bin ich unterwegs, weil ich dort etwas vorhabe.


Doch was ist denn nun dieses Shinrin Yoku? Der 1982 vom japanischen Forstministerium eingeführte Begriff bedeutet 'baden im Wald' und wird mittlerweile von Ärzten in Japan als Therapie empfohlen. Hierzulande ist diese Form der Therapie noch weitgehend unbekannt.

Die Idee beim Shinrin Yoku ist, mit allen Sinnen in den Wald einzutauchen. Sich ganz bewusst die Zeit zu nehmen, das nasse Laub und die Erde zu riechen, das Vogelgezwitscher und rascheln der Blätter zu hören, all die Farben zu erkennen, Baumrinde und anderes im Wald zu berühren und vielleicht auch den ein oder anderen Baum zu umarmen.


Sommerwald beim Etang de la gruère im Jura.

Schon der normale Waldspaziergang hat eine beruhigende Wirkung auf uns. Ob wir nun mit dem Hund durch die Wälder streifen, Pilze sammeln oder einfach eine bestimmte Strecke laufen: wir können dabei Abstand zum Alltag nehmen, auf andere Gedanken kommen und den Stress hinter uns lassen. Doch bei Shinrin Yoku geht es noch um etwas anderes: wir gehen quasi auf Tuchfühlung mit dem Wald. Und dies soll die positiven Effekte verstärken.


Walliser Tannenzapfen...nun ja, nicht anders als andere Zapfen ;-)

Nun denn: nachdem ich das nun weiss, mache ich mich noch etwas schlau, wie denn das Waldbaden in der Praxis aussehen soll. Und mit Schrecken stelle ich fest, dass man dabei mit einer Geschwindigkeit von einem Kilometer pro Stunde durch den Wald schlendern soll. Da stellt sich mir doch gleich die Frage: was soll ich denn solange auf dem einen Kilometer machen? Ich schnappe mir also den Hund und laufe los. Genauer gesagt laufe ich los bis zum Waldrand, dann muss ich ja anfangen zu schlendern. Den Hund an der Leine, versuche ich mich auf den Wald zu konzentrieren. Doch ich merke gleich zu Beginn, dass dies nicht so einfach ist. Wohl sehe ich den Wald, kann mich auch auf die Gerüche fokussieren, doch dann will ich einfach weiterlaufen. Weder Hund noch ich haben Lust im Schneckentempo durch den Wald zu gehen. Also geht es etwas zügiger weiter und der Wald ist einfach eine schöne Kulisse für unseren Spaziergang.


Wunderschöner Baum am Blausee.

Wir laufen also in unserem gewohnten Tempo weiter bis wir auf eine Lichtung kommen, wo ich den Hund von der Leine lassen kann. Während er allerlei spannendes erschnüffelt, nehme ich mir die Zeit, die Bäume rund um die Lichtung genauer anzusehen. Ich gehe auf einen Baum zu und spüre die Rinde, nehme eine Handvoll Erde vom Boden auf und rieche daran. Irgendwie fühlt es sich merkwürdig an und ich weiss nicht, woran es liegt. Also wirklich begeistern kann ich mich nicht dafür.


Der Blausee umgeben von Wald.

Ich nehm meinen Hund wieder an die Leine und wir laufen weiter, in unserem Tempo. Und irgendwie macht sich in mir das Gefühl breit, dass ich nicht begriffen habe, worum es beim Waldbaden geht. Nun ja, vielleicht bin ich einfach nicht für so was meditatives gemacht, also was solls. Mit flottem Schritt gehts also weiter auf unserem Spaziergang und schliesslich nach Hause, wo ich mich anderen Dingen widmen kann. Das Thema Waldbaden habe ich jedenfalls für mich abgehakt.


Herbstlicher Wald bei Muttenz.

Als ich am folgenden Tag erneut mit dem Hund in den Wald gehe, freue ich mich einfach auf unseren Spaziergang. Wir laufen wohin wir wollen, treffen andere Leute und Hunde, ich sehe dies und das und irgendwo bleibt Hund stehen und buddelt fröhlich in einem Mauseloch. Ich stehe einfach da und geniesse die frische Luft und die Sonne auf meiner Haut. Es ist einfach wunderbar hier zu stehen und nichts tun zu müssen als einfach das Sein zu geniessen. Irgendwann ist der Hund fertig, die Maus fand er zum Glück nicht und gut gelaunt gehts zurück nach Hause.


Herbstlaub in den schönsten Naturtönen.

Etliche Waldspaziergänge später fällt mir endlich auf, dass ich wohl doch sowas wie Waldbaden mache. Sind denn das nicht die Momente, in denen ich einfach bin? Unterwegs in meinem Tempo oder Luft und Sonne geniessend am Waldrand stehend? Geht es beim Waldbaden nicht auch darum, keine Anforderungen erfüllen zu müssen? Wieso sollte ich am Boden riechen? Weshalb einen Baum umarmen, wenn ich dazu keine Lust habe? Vielleicht beobachte ich in dem Moment lieber einen Hirschkäfer, wie er auf dem Weg von hier nach da ist?! Genau das muss doch Waldbaden sein. Es soll mich ja entspannen und nicht nerven, weil ich dies oder jenes tun sollte, um etwas zu spüren.


Nur meine Mutter entdeckt solche Pilze, ich leider nie...

Auch wenn der Begriff Waldbaden eine Definition per se hat: ich mach meine eigene daraus, denn schliesslich muss es ja zu mir passen. Und wenn ich mich nach dem Spaziergang im Wald erfrischt und entspannt fühle, dann hab ich mir etwas Gutes damit getan.


Winterlicher Wald am Etang de la gruère.

Vielleicht seid ihr nun aber doch neugierig auf Shinrin Yoku geworden und würdet es gerne versuchen? Dann schaut euch mal auf der Seite www.waldbaden-erlebnis.ch um, dort werden Eintägige Touren und auch Workshops angeboten. Und während ich dies so schreibe und zugleich auf der Website blättere, denke ich mir: doch, das möchte ich auch gerne mal ausprobieren, denn es würde mir eine wohlverdiente Auszeit bescheren und ganz sicher ist es eine besondere Erfahrung. Und ganz bestimmt würde ich endlich den Unterschied zwischen Waldspaziergang und Waldbaden entdecken.


Und diejenigen, die es wirklich packt: ihr findet auch Angebote, in denen ihr in mehrtägigen Kursen eine Ausbildung zum Shinrin Yoku / Waldbaden-Kursleiter machen könnt.


Vielleicht sieht man sich ja mal im Wald?


Corinna



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